Zentrale

Haus Nr. analog Dorfskizze

Name

Z

“Zentrale”

Nitsch/Pirr, Wilhelm

Postamtliche Bezeichnung:

Elektrische Überlandzentrale Ritzow-Werk Schojow, Telefon Nr. 6 - zu erreichen über die Postagentur Grulich, die die Gespräche in Handvermittlung herstellte.

links im Hintergrund die Lupow, rechts der Kanal. Vor der Zentrale eiserne Einlaufgitter und Schleusenanl age

Die Zentrale

von Friedrich Grube

Zunächst hier einige technische Details. Sie ist 1910 von der Firma Siemens-Schuckert im Auftrage des Grafen Gustav von Schwerin erbaut worden. Es waren zwei Maschinensätze, bestehend aus je einer Zwillingsturbine und je einem Generator, installiert. Jeder Maschinensatz war für eine Leistung von 156 Kilowatt ausgelegt. Gefahren wurde jedoch 170 Kilowatt, ohne daß es der Anlage geschadet hätte. Die Drehzahl betrug 150 Umdrehungen in der Minute. Die Generatoren hatten 20 Polpaare. Diese wurden mit einer Gleichspannung von 110 Volt erregt. Die Generatorspannung betrug 5.000 Volt. Der Leistungsfaktor lag zunächst sehr schlecht, besserte sich aber auf einen Wert von ca. 0,8 nachdem Kondensatoren als kapazitive Verbraucher eingebaut worden waren. Die Fallhöhe des Wassers betrug 6,5 Meter.

Als zusätzliches Stromerzeugungsaggregat war zunächst eine Dampfmaschine nebst der erforderlichen Kesselanlage aufgestellt worden. Diese hat man um 1920 durch eine Dieselanlage ersetzt, die eine elektrische Leistung von ungefähr 172 Kilowatt (Scheinleistung: 215 KVA) in das Netz einspeisen konnte.

Das Kraftwerk fuhr in den ersten Jahrzehnten im sogenannten “Inselbetrieb”, war also nicht mit anderen Netzen zusammengeschaltet. Es versorgte die Dörfer Sorchow, Schojow, Schwerinshöhe, Dresow - wohl auch Bandsechow und Liepen. Unterstützt wurde es hierbei von der 120-Kilowatt-Anlage des Kraftwerkes in Dresow. Die “Elektrifizierung” der Haushalte und Gehöfte steckte in jenen Jahren noch in den Kinderschuhen, zumal der Preis für eine Kilowattstunde ungefähr 30 Reichspfennige betragen haben soll. Es soll Birnen mit einer Leistung von 15 Watt gegeben haben, unter deren “Schimmer” sich die Familien abends versammelten. Aber welch ein Fortschritt gegenüber der Petroleumlampe! Es wuchs jedoch die Zahl der Elektromotore auf den Gütern und auf den Bauernhöfen. Im Brennereigebäude des Gutes Schojow war eine Mühlenanlage installiert, die durch einen E-Motor angetrieben wurde. Wenn ein “Verbraucher” dieser Größe ein- oder ausgeschaltet wurde, dann war das in der Zentrale sofort “akustisch” wahrzunehmen, weil sich die Laufgeräusche änderten. Die Fliehkraftregler der Turbine kamen jedoch sofort zum Eingriff und regelten die normale Drehzahl wieder ein. Bei dem erwähnten Inselbetrieb war es möglich, die Turbinendrehzahl zu erhöhen, so daß sich statt der üblichen Netzfrequenz von 50 Hertz eine solche von z.B. 51 Hertz ergab. Die Motore liefen schneller.

Mitte der dreißiger Jahre reichte die Kraftwerkskapazität allmählich nicht mehr aus. Die “Überlandzentrale Schojow” schaltete sich dann nach Bedarf mit den “Märkischen Elektrizitätswerken” parallel und bezog von jenem Mammutunternehmen die elektrische Energie, die sie selber nicht mehr erzeugen konnte. Sie war jetzt aber auch dem Diktat der 50 Hertz des Großunternehmens unterworfen. Die Motore liefen langsamer. Prompt liefen Beschwerden über die “schlechte Stromqualität” ein. Dem Druck dieser Beschwerden beugte sich dann auch schließlich der Direktor der “Überlandzentrale Schojow eGmbH”, der den diensthabenden Maschinisten in der Zentrale telefonisch anwies, konstant 51 Hertz zu fahren.

Vor der neu errichteten Zentrale. 2.v.l: Betriebsleiter Otto Bielski, 6.v.l.: Graf Gustav v. Schwerin

Wie bereits erwähnt, war der Erbauer der Kraftwerksanlage der Herr Graf Gustav von Schwerin. Er hat diese an die oben erwähnte Genossenschaft zunächst verpachtet, um 1928 aber dann verkauft. Es wurde erzählt, daß der Kaufpreis eine halbe Million Reichsmark (oder Rentenmark?) betragen haben soll. Maßgebliche Herren der Genossenschaft sollen sich befriedigt über den günstigen Kauf geäußert haben. Die Genossenschaft hatte ihren Sitz in Ritzow bei Stolp. Zur Belegschaft gehörten 20 bis 25 Arbeiter bzw. Angestellte. Außer einer Reparaturwerkstatt mußte ja auch z.B. das gesamte Freileitungsnetz unterhalten und ergänzt werden. Für die Stromerzeugung in der Zentrale waren verantwortlich: Herr Nitsch als Betriebsleiter und als Maschinisten die Herren Pirr, Topel, Grube (sen.) und Schröder. Die Zentrale lief jahraus, jahrein präzise und zuverlässig. Das tut sie auch heute noch, wenn auch mit neuen Maschinensätzen (...).

Jahreszahl und Wappen der Fam. v. Schwerin auf der Zentrale. Bild Juni 2002

Link zur polnischen Web-Site der “Zentrale”

Es wurde lange über einen “Stromausfall” erzählt und gelacht. Bei Bonins im Saal war ein Tanzvergnügen. Mein Vater hatte Nachdienst in der Zentrale. Weit nach Mitternacht benötigte er für den Dieselmotor eine Fühlerlehre. Diese war jedoch nicht aufzufinden. Er wußte, daß Herr Nitsch und Herr Pirr an der Lustbarkeit bei Bonins teilnahmen. Einer von beiden hatte die Fühlerlehre wohl weggeschlossen. Er schaltete in schneller Folge das Schwerinshöher Netz und somit auch Bonins Saal dreimal ab und gleich wieder zu. Im Saal glaubten die Tanzpärchen wohl an einen Scherz, doch Herr Nitsch und Herr Pirr machten sich sogleich - vielleicht voll böser Vorahnungen - auf den Weg zur Zentrale (...).

mehr zur Lupow und Zentrale auch im Buch “Flusslandschaft” von Friedrich Grube

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Der Bau und die Zerstörung des Kraftwerkes Schwerinshöhe

von Georg Heratsch

Unsere Großeltern kannten noch den Kienspan als Lichtquelle im Hause.

Später kam dann die Petroleumlampe. Das Licht wurde besser, aber auch noch nicht gut. Die Lampen, mit Glasschirmen versehen, strahlten eine gewisse Gemütlichkeit aus. Noch heute (Anm.: 1982) findet man diese Lampen in vielen Häusern vor; das Licht aber spendet jetzt eine Glühbirne. Doch die Menschen waren nicht zufrieden. Sie suchten weiter. So kam es dann, daß eines Tages ein Fachmann des Weges kam, der erkannte, daß der Lupowfluß Wasser und Gefälle genug hatte, um ein Kraftwerk zu treiben.

Die beiden Güter Schwerinshöhe und Schojow gehörten dem Grafen von Schwerin. Sie wurden getrennt durch den Lupowfluß, der vom Pommerschen Landrücken kam und in die Ostsee mündete. Verbunden wurden beide Orte durch einen holprigen Damm.

Bald ging es an die Arbeit. Es wurde ein Kanal von drei Kilometer Länge gebaut, welcher das Wasser zu den Turbinen leitete. Am Beginn des Kanals wurde ein Wehr errichtet, durch welches das Wasser gestaut wurde, so daß man das nötige Gefälle bekam. Viele Menschen haben etwa zwei Jahre gearbeitet, bis das Werk fertig war.

In der damaligen Zeit gab es noch keine Baumaschinen, daher mußte alles mit Schaufel und Schiebkarre bewältigt werden. Man kann die Leistung in etwa mit dem Bau der ägyptischen Pyramiden vergleichen. Endlich war der Tag der Einweihung gekommen. Viele Menschen hatten sich versammelt, um das Ereignis mitzuerleben.

Graf von Schwerin, als Bauherr des Werkes, stand vor der Marmortafel, an der die Schalthebel befestigt waren. Auf einen Wink des leitenden Ingenieurs wurde der Hebel betätigt. Das Wasser schoß durch die Rohre zu den etwa 10 m tiefer gelegenen Turbinen, die sich nun zu drehen begannen, schneller und immer schneller, und plötzlich ging das Licht an. Ein frohes Raunen ging durch die Menge, das sich zu einem brausenden Jubel verstärkte.

In Schwerinshöhe, Schojow und Umgebung war es hell geworden. Das alles geschah im Jahre 1908.

Die Wasser des Lupowflusses liefen und die Räder drehten sich. Die Stuben waren hell und die Menschen waren froh. Sie waren auch ein bißchen stolz auf ihr Kraftwerk.

So gingen die Jahre hin. Es war eine glückliche Zeit. Dann aber kam der Krieg, und mit ihm im März 1945 die Russen. Die in Jahrhunderten gewachsene Dorfgemeinschaft wurde brutal zerstört.

Eines Tages wurden alle im Dorf lebenden Menschen zusammengetrieben, um auf Befehl der Sieger die Zentrale zu demontieren. Jeden Morgen kamen die Menschen, bewacht von Russen, um die Maschinen auszubauen.

Die Wummelsche Sägemühle wurde abgebaut. Aus den Brettern wurden Kisten gezimmert, in die die zerlegten Teile verpackt wurden. Solange sich die Maschinen in kleine Teile zerlegen ließen, ging das Verladen auf den Wagen noch. Doch die größeren Teile machten Schwierigkeiten. Mit Stricken, die an den Kisten befestigt waren, welche auf Rollen standen, wurde das Ganze mit viel Geschrei und Hauruck Zentimeter für Zentimeter vorwärts bewegt, bis es endlich auf dem Wagen stand.

Dann aber kam die große Riemenscheibe vom Dieselmotor, die man bis zuletzt gelassen hatte. Es war das größte Problem. Dieses große Rad ließ sich nur in zwei Teile zerlegen. Jedes Teil wog so an die 50 Zentner. Aber auch das haben wir mit viel Geschrei auf den Wagen gebracht. Doch nun kam das Schlimmste. Von der Zentrale bis zur festen Straße führte ein 1 km langer Sandweg. Ein Bulldog war vorgespannt, und an jeder Seite Leute mit Stricken über der Schulter, zum Ziehen bereit - wie die Wolgaschiffer. So ging es dann los.

Wir kamen etwa 100 m voran, da sackte das Vorderrad ein. Mit viel Mühen, Winden und Hebeln haben wir den Wagen angehoben und Bretter untergelegt. So ging es nun den Sandweg entlang. Wie oft wir versackt sind, ich weiß es nicht mehr.

Wir waren etwa 50 m von der Straße entfernt, da sackte der Wagen mit den beiden rechten Rädern ein. Das eine Teil der Riemenscheibe rutschte von der Wagenfläche und blieb auf einem angrenzenden Acker liegen. Der russische Kommandant warf die Arme in die Luft, stieß einen Fluch aus und ließ uns nach Hause gehen. Es fing schon an zu dunkeln, da dröhnten Kolbenschläge an unsere Haustür. Vor mir stand ein russischer Soldat, faßte ich an die Schulter und zog mich fort. Wir gingen zu der Stelle, an der das halbe Rad auf dem Acker lag. Mit vielen Gesten und Flüchen machte er mir klar, daß ich hier die Nacht Wache stehen sollte. Er selbst ging in eines der nahegelegenen Häuser, um zu schlafen.

So bin ich nun die ganze Nacht um den zerbrochenen Wagen und das halbe Rad gewandert.

Ich habe viel darüber nachgedacht, warum ich Posten stehen mußte.

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