Einweihung Gedenktafel 2002

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Denkschrift der ehemaligen Kirchengemeinde Wendisch-Silkow (Schwerinshöhe) Landkreis Stolp in Ostpommern

 

Am 1. Juni des Jahres 2002 wird in der genannten Kirche innerhalb eines ökumenischen Gottesdienstes eine Marmortafel eingeweiht. Sie trägt in deutscher und polnischer Sprache folgende Inschrift:

Zum Gedenken an die verstorbenen ehemaligen Bewohner des Kirchspieles Wendisch-Silkow. 2002.

Unter einer Kreuzdarstellung folgt außerdem ein Hinweis auf den Bibelvers Hebr. 13.8

Der Vorschlag zum Anbringen dieser Tafel entstammt einer Zusammenkunft verbliebener Angehöriger der oben genannten Kirchengemeinde im westlichen Deutschland. Kirchliche und standesamtliche Dokumente dieses Kirchenspieles aus den Zeiten vor 1945 sind vernichtet und unwiederbringlich verloren. Sogar auf den dörflichen Friedhöfen erinnert nichts mehr an die Namen und das Leben der einstigen Bewohner. Den Angehörigen der ehemaligen Glaubensgemeinschaft bleibt also nur durch diese Tafel eine Stätte, um dem Gedenken an ihre hier oder auf der Flucht verstorbenen Angehörigen und Freunde sichtbaren Ausdruck zu verleihen. Sie bekunden deshalb auch ihren Dank an die heutige polnische katholische Kirchengemeinschaft und an ihren Pfarrer, Herrn Osowski, die die Genehmigung zum Anbringen der Tafel erteilt haben.

Besinnen wir uns auf Gemeinsamkeiten. Die Verstorbenen, denen die Tafel gilt, die heute noch lebenden damaligen Einwohner des genannten Kirchenspieles sowie die Menschen, die nunmehr hier ansässig sind, sie alle haben doch in dem gleichen Kirchenschiff der christlichen Botschaft gelauscht und auf den gleichen Altarstufen gekniet.

Eine kleine Rückschau:

Zu dem Kirchspiel Wendisch-Silkow mit insgesamt 1.580 Gemeindemitgliedern gehörten außer dem Hauptort seinerzeit folgende Nachbardörfer: Alt-Gutzmerow, Neu-Gutzmerow, Bandsechow, Schojow, Sorchow. Jeder Ort hatte seine eigene Schule, wobei Alt- und Neu-Gutzmerow zusammengefasst waren.

Die Kirche ist am 29. Januar 1879 eingeweiht worden und gehörte zur Synode “Stolp Altstadt”. Bis zu dem genannten Zeitpunkt war in Groß-Garde das zuständige Kirchenzentrum gewesen. Die evangelisch-lutherische Konfession bestimmte hier wie überall auf dem Lande das religiöse Geschehen.

Das Kirchengebäude ist aus Granitsteinen errichtet, die von den umliegenden Gemarkungen herbeigeschafft, fachgerecht gespalten und farbig unterschiedlich zu einem Mauerwerk gefügt wurden, das in dem Betrachter ehrfürchtige Bewunderung vor der damaligen Handwerkskunst entstehen lässt. Die Fenster der Kirche sind als neugotische Spitzbogen gestaltet und mit farbigen Darstellungen unterteilt. Sie erhellen mit dem einfallenden Licht auch die Worte aus der Bergpredigt “Glaube”, “Liebe”, “Hoffnung”, eine leuchtende Symbolik, die ebenfalls erhalten geblieben ist.

Links und rechts im Kirchenschiff war je eine lange Empore, auf der die vorderen Sitzbänke den Patronatsherren, meistenteils Gutsbesitzer, vorbehalten waren. Diese hatten dereinst mit Spenden einen namhaften Beitrag zum Kirchenbau geleistet. Das Privileg der erhöhten Sitze wurde weitervererbt und von den Folgegenerationen mit mancher Spende für kirchliche Belange aufrecht erhalten. Auch Margarethe Gräfin von Schwerin, an deren Ermordung durch einen sowjetrussischen Kommissar bereits eine Gedenktafel in dieser Kirche erinnert, war Patronatsherrin gewesen.

Die dörflichen und bäuerlichen Gottesdienstteilnehmer nahmen in Parterre Platz, wo für die einzelnen Ortschaften mehrere Reihen von Sitzbänken ausgewiesen waren.

Zur Predigt bestieg der Pastor die Kanzel, die sich links des Altars erhob.

Der gotische Torbogen über dem Altar trug die Inschrift aus Hebr. 13,8, an die auch auf der Gedenktafel erinnert wird:

Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.

Die linke Wandseite prägte der Spruch (Jak.1,22):

Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein, wodurch ihr euch selbst betrüget.

und rechts (Matth.11,28):

Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken.

Musikalisch wurden die Gottesdienste von der Orgel umrahmt, die 1933 renoviert und vergrößert worden war und von den Gesängen des Kirchenchores.

Im Glockenturm hingen zwei Glocken, eine mit einem hellen Klang, den ihre Schwester tief und sonor beantwortete. Es erscholl also bei den gegebenen Anlässen das sprichwörtliche “bim bam” über die Weiten. Es war in allen Kirchdörfern zu hören, verkündete die Mittags- und die Abendzeit, rief zu den Gottesdiensten, erinnerte an die Weihnachtsbotschaft, läutete das Neue Jahr ein und begleitete Verstorbene auf ihrem letzten Weg. Die “Bam-Glocke” wurde im letzten Weltkrieg auf Nimmerwiedersehen abgeholt.

Um 1885 ist das Gemeindehaus mit Saal und einem separaten Wirtschaftsgebäude errichtet worden. Hier zog nun der von den Kirchenältesten gewählte Pastor mit seiner Familie ein. Die Gemeinde hatte fortan auch ihren eigenen Seelsorger. In der oberen Etage entstand die Wohnung der Gemeindeschwester. Diese Gebäude wurden nach 1946 abgerissen.

Die Belange der Gemeinde wurden von dem Gemeindekirchenrat wahrgenommen, dessen Vorsitz der amtierende Pastor innehatte. Das kirchliche Leben war sehr rege. Besonders zu den Festtagen reichte die große Kirche kaum aus. Die Taufen fanden während des Gottesdienstes vor der versammelten Gemeinde statt. Die Einsegnungen fielen immer auf Palmsonntag. Die Konfirmanden gingen vom Gemeindesaal im gemeinsamen Zug singend in die Kirche. Auch Brautpaare und Hochzeitsgesellschaften trafen sich vor der Trauung im Gemeindesaal und zogen geschlossen zur Kirche. Trauerfeiern fanden stets im Hause der Verstorbenen statt. Danach geleiteten die trauernden Angehörigen unter Führung des Pastors die sterbliche Hülle zum Friedhof. An den Feiertagen war im Anschluss an den Gottesdienst die Feier des heiligen Abendmahls.

Zahlreiche kirchliche Aktivitäten galten auch den Freizeitbereichen. Es gab den Verein der christlichen jungen Männer und den evangelischen Jungmädchenverein. Von gemeinsamen Ausflügen, Gesangswochen, Jugendfesten, auch Theateraufführungen berichtet noch manche mündliche oder fotografischer Erinnerung. Auftritte des Kirchenchores, Veranstaltungen des Gustav-Adolf-Vereins, der Inneren Mission oder auch Bibelstunden in den einzelnen Dörfern zählten mit zu den Rührigkeiten der damaligen Kirchengemeinde.

 

Evangelischer Jungmädchenverein vor dem Gemeindesaal, 1928

von oben links nach unten rechts: Else Klaffke, Lina Müller (Sorchow), Erna Müller (Sorchow), ----, Frau Pastor Elisabeth Gerhard, Erna Musch, Pastor Paul Gerhard, ---, Elisabeth Horn, Erika Marz, Else Krause, Margaret Gerhard, ----, --- Klaffke, Lene Krause, Herta Bonin, Gertrud Masch, --- Voss, Elisabeth Reetz, Frieda Eichmann, Grete Topel, Mechthild Gerhard, Maria Gawer, Hilde Pigorsch, -----, -----, Ella Eichmann, -----, Gerda Fritz (Neu Gutzmerow), ----, Alma Fritz (Alt Gutzmerow), Lene Pigorsch, Erika Staller (Neu Gutzmerow), --- Stiller, Käthe Hildebrandt (Alt Gutzmerow), Frieda Pigorsch, Lene Knop (Alt Gutzmerow), Anna Nowack (Alt Gutzmerow), Anna Krause.

Die Bevölkerung setzte sich hier aus mehreren Volksgruppen zusammen, die aber ethnisch längst miteinander verschmolzen waren. Die Kaschuben waren der Stamm, dessen Anwesenheit sich am weitesten zurückverfolgen lässt. Ihre Sprache hat sich verloren, doch ihre Familiennamen mit dem unverkennbaren Klang sind erhalten geblieben, z.B. als “Dargusch”, “Judaschke”, “Sawallisch” usw. Auch die Ortsnamen des Kirchspiels sind unverkennbar kaschubischen Ursprunges. Zu diesen Ureinwohnern hatten sich von Mönchen, vom Ritterorden, von polnischen Herzögen und von preußischen Königen herbeigerufene Handwerker und Siedler gestellt, mit denen die wirtschaftliche Entwicklung des Landes beschleunigt werden sollte. Sie kamen aus Friesland, aus Westfalen, aus Hannover und weiteren westlichen Ländern und brachten die plattdeutsche Sprache mit, die sich durch sie in der gesamten Region als Umgangssprache verbreitet hat.

Moor- und Ödländereien wurden kultiviert und fruchtbar gemacht. Alsbald sorgte die heimische Scholle für die gesicherten Existenzgrundlagen der Höfe und Güter. Alle Zweige der landwirtschaftlichen Produktion waren hier zu finden wie Milchwirtschaft, Getreide-, Kartoffel- oder Flachsanbau, Fleischerzeugung, usw. Vorherrschend waren dabei die Rittergüter, die ihren Tagelöhnern zwar ein karges, jedoch ein gesichertes, lebenslanges Auskommen boten. Es gab in den Dörfern aber auch etliche selbständige Bauernhöfe. Die tiefen und unerschöpflichen Wälder lieferten Bau-, Möbel- und Brennholz und waren ein weiteres “Standbein”.

Bei Wendisch-Silkow wurden u.a. zwei Seen trockengelegt, deren Flächen zusammen mit den Lupowiesen jetzt wertvolle Futterquellen und Viehweiden hergaben. Die Erzeugung übertraf den eigenen Bedarf um ein mehrfaches. Der Überschuss musste deshalb vermarktet werden. Das verlangte Transportmöglichkeiten. Neben den Verbindungsstrassen des Landkreises waren es zwei wichtige Verkehrswege, denen hier die Aufgabe als “Lebensadern” zugekommen sind: Die Chaussee Stolp-Zezenow und die vollspurige Kreisbahnstrecke Stolp-Dargeröse. Alle Dörfer des Kirchspieles waren an diese beiden Verkehrswege angeschlossen, bzw. sie lagen nur wenige Kilometer von den Trassen, bzw. von den Bahnhöfen, entfernt. Schojow hatte sogar ein eigenes ca. 2 km langes Feldbahngleis zum Kreisbahnhof in Wendisch-Silkow, auf dem es seine Spritfässer und die gesackten Kartoffelflocken aus der modernen Brennerei fortschaffte, aber auch Kohlen, Dünger, usw. bezogen hat. Dieses Gleis verlor seine Bedeutung mit der Anschaffung von Traktoren und gummibereiften Anhängern. Die Trasse der Feldbahn erinnert jedenfalls noch heute an die damals florierende Gutswirtschaft.

Auch auf dem Energiesektor ging man mit der Zeit. Hier boten sich nicht nur der Lupowfluss sondern auch seine Nebenbäche an. In Bandsechow war eine Wassermühle und ein Kraftwerk, das etwa 1910 in Betrieb gegangen ist und heute noch mit den gleichen Maschinenanlagen läuft. Es hat deshalb sicherlich die Bedeutung eines Industriedenkmales. Dieses sei den heutigen Betreibern nachdrücklich ans Herz gelegt. Möglicherweise können nach dem Beitritt Polens zur EU Mittel zwecks Erhaltung der Anlage und Umwandlung in ein Industriemuseum bewilligt werden.

In Schojow war eine Getreidemühle von einem Seitenbach angetrieben worden, die aber stillgelegt wurde, als im Gebäude der Brennerei eine motorbetriebene Anlage entstand.

Auf Wendisch-Silkower Gebiet nahm im Jahre 1908 die “Überlandzentrale Schojow” die Stromlieferung auf. Sie war in der Reihenfolge das dritte Drehstromkraftwerk von ganz Pommern, das in Betrieb ging. Licht kam in Wohnungen und Stallungen. Auf den Guts- und Bauernhöfen und in den heimischen handwerklichen Werkstätten übernahmen Elektromotore die Antriebe wichtiger Maschinen.

An der Kreuzung der erwähnten Chaussee mit der Lupow spendete der Fluss schon wieder Energie und zwar für die “Neue Mühle”, eine Sägemühle und ein Stromaggregat.

Schließlich arbeitete ca. 2 Flusskilometer weiter und zwar schon seit 1784 die “Schwarzmühle” mit der Kraft des “Sedsgenbaches”

Wendisch-Silkow hatte aber nicht nur alleine als Kirchenzentrum eine herausragende Bedeutung. Es war zudem auch der Mittelpunkt des “Amtsbezirkes Sorchow” sowie des Gendarmeriebezirkes. Auch das “Standesamt Sorchow” hatte hier seinen Sitz. Es waren zudem eine Filiale der “Ländlichen Spar- und Darlehenskasse” und eine Postagentur vorhanden. Die Gemeindeschwester, die in Not geratene Familien betreute, wohnte hier ebenfalls. Im Güterschuppen am Bahnhof wurden landwirtschaftliche Bedarfsartikel gelagert und umgeschlagen. Jeden Donnerstag lieferten die Erzeuger Schlachtvieh zum Viehschuppen, das von den Helfern des Aufkäufers über die Rampen in die Viehwaggons der Kreisbahn getrieben wurde.

Das Rittergut in Wendisch-Silkow wurde 1937 aufgesiedelt, wodurch bereits existierende Bauernhöfe sich vergrößern konnten. Es entstanden aber auch vier neue Vollbauernstellen und das Restgut Mielke.

In Wendisch-Silkow, wie übrigens auch in Neu-Gutzmerow und in Bandsechow, war eine größere Gastwirtschaft, der ein Saal angeschlossen war. Größere Veranstaltungen, Versammlungen, Vorträge, Feste, Theater- und Kinovorführungen fanden statt. Über den Schanktresen wurden auch Lebensmittel verkauft. Es hielten jedoch zwei weitere “Kolonialwarenläden” ihre Waren feil. Zudem waren zwei Bäckereien vorhanden, von denen die eine mittels Pferdekraft umliegende Dörfer belieferte. Weitere Handwerksbetriebe waren eine Schmiede und Schlosserei, ein Schneider, ein Schuhmacher, ein Fleischer, ein Tischler, ein Gärtner, eine Spinnerei und Weberei und zwei Tankstellen. Alle Läden und Betriebe, auch in den anderen Kirchdörfern, waren mit der Landwirtschaft verbunden und von deren Wohlergehen abhängig.

Mit der Erschließung durch die Eisenbahn konnten viele Kinder des Kirchspieles weiterführende oder höhere Schulen in der Kreisstadt Stolp besuchen. Dort fanden auch viele “Pendler” nunmehr Lohn und Brot. Die dampf-, bzw. motorbetriebenen Personenzüge fuhren drei mal täglich Dargeröse-Stolp und zurück.

Alles in allem war hier also ein Stückchen “heile Welt”. Die Menschen waren bescheiden, lebten aber glücklich, dankbar und zufrieden.

Im Jahre 1933 zogen mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in Berlin dunkle Wolken am politischen Horizont auf. Nicht nur das öffentliche Leben wurde in den Sog der um sich greifenden Machtwillkür gerissen, auch in die privaten Bereiche, ja sogar bis in die Familien reichten die Einflüsse der diktatorischen Staatsgewalt.

In den Christengemeinden schloss man sich enger zusammen. Hier regten sich nicht nur die passiven sondern auch die offenen Widerständler, die mit Einkerkerung, Folter, Tod und Sippenhaft bedroht waren.

Die Innen- und Außenpolitik der Nazis führte geradewegs in den zweiten Weltkrieg, der zur gesamteuropäischen Katastrophe anwuchs und letztendlich nicht nur zur Vernichtung der nationalsozialistischen Machthaber führen sollte sondern de facto auch den Deutschen Staat, wie er bis dahin bestanden hat, von der Landkarte löschte.

Mehr und mehr mussten im Kriegsverlauf von den Kanzeln die Namen der Gefallenen verlesen werden. Hüben wie drüben verloren Eltern ihre Söhne, Kinder ihre Väter, Frauen ihre Männer. Alsbald machten die Kriegsfurien keine Unterschiede mehr nach Alter und Geschlecht. Bomben- und Granatenteppiche trafen und vernichteten wahllos Menschen, Dörfer, Städte, blühende Landschaften.

Abgesehen von den vielen Gefallenen blieb es in der Wendisch-Silkower Kirchengemeinde relativ lange friedlich. Es wurden sogar hunderttausende von Menschen aus den bombengefährdeten westdeutschen Städten in die vermeintliche Sicherheit Ostdeutschlands evakuiert. Auch in diese Gegend kamen viele “Ausgebombte” und Gefährdete. Im Spätherbst 1944 änderte sich das Bild schlagartig. Es kamen endlose Folgen von Flüchtlingstrecks, hauptsächlich aus dem damaligen Ostpreußen, die aus Furcht vor dem Herannahen der sowjetischen Armee ihre Wohnungen, Häuser und Höfe verlassen hatten. Sie benötigten auf der Durchreise Obdach, Verpflegung und Futter. Nicht lange konnten die Einheimischen solches gewähren. Bald mussten sie selber ihre Heimat verlassen. Sie wurden ebenfalls zu Obdachlosen und Flüchtlingen. Viele blieben aber auch. In dem Bewusstsein, dass sie niemandem Böses getan hatten, ließen sie die Dinge an sich heran kommen und vertrauten auf ein gütiges Schicksal.

Unter den Besatzern war die Fortführung eines normalen Lebens nicht mehr möglich. Plünderung, Raub, Brandstiftung, Mord und Vergewaltigung beherrschte den Alltag der Wehrlosen. Die Spitzenpolitiker der alliierten Siegermächte beschlossen zudem auf ihrer Potsdamer Konferenz 1945, dass die deutsche Bevölkerung, die jenseits der von ihnen festgelegten “Oder-Neisse-Linie” ansässig war, in die 4 “Besatzungszonen” vertrieben werden sollte, die sie aus dem westlichen Deutschland gebildet hatten. Dieser Siegerbeschluss traf eine Einwohnerschaft von rund 15 Millionen Menschen, die hier seit Jahrhunderten verwurzelt gewesen sind.

Als ausgewiesene Wehr- und Rechtlose hatten sich die Betroffenen in ihr Schicksal zu fügen. In der Wendisch-Silkower Kirchengemeinde fanden die noch Verbliebenen den letzten Halt wiederum nur in ihrer Glaubensgemeinschaft mit ihrem Seelsorger, dem Pastor Käding. Dieser harrte trotz schwerer Krankheit bei seiner Gemeinde aus, die er seit 1929 geleitet hatte.

Am Totensonntag 1946 hatte er in der hiesigen Kirche im Wissen um die bevorstehende Ausweisung der restlichen Gemeindemitglieder das Lied “Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl” aus dem Gesangbuch gewählt. Vielleicht ist an dieser Stätte selten ein Lied mit solcher Inbrunst gesungen worden.

“Der Weg” führte die Betroffenen anschließend in die Zerstreuung der restlichen deutschen Trümmerlandschaft. Viele ehemalige Nachbarn und Verwandte verloren sich aus den Augen, besonders, wenn sie in den zwei verschiedenen “Deutschen Staaten” untergekommen waren.

In den ersten achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts rief der Sohn des Vorgängers von Pastor Käding, Paul Gerhard, die noch lebenden Angehörigen dieser einstigen Kirchengemeinde zu einem Treffen zusammen, das zunächst alle zwei Jahre wiederholt wurde. Auf seine Initiative schrieben diese ihre Erinnerungen und Erlebnisse nieder, die im “Heimatbuch der Kirchengemeinde Wendisch-Silkow” gesammelt und veröffentlicht wurden. Aus zahlreichen Fotos entstand in Folge ein Bildband. Nach der politischen Vereinigung der beiden Deutschen Staaten konnten auch endlich die Menschen hinzukommen, die seinerzeit als Flüchtlinge in der “Russischen Besatzungszone” verblieben waren.

Dieser Kreis ist inzwischen um ehemalige Vietkower Einwohner angewachsen, die mit Herzlichkeit in diese Gemeinschaft aufgenommen wurden.

Der seinerzeit besungene “Weg” führt die Vertriebenen der ehemaligen Kirchengemeinschaft Wendisch-Silkow nunmehr sporadisch als “Ausländer” an die Stätten ihrer Kindheit und Jugend zurück. Dazu gehört auch diese Kirche. Sie unterliegen der unauslöschlichen inneren Macht der Heimatliebe. Mit den Klängen der verbliebenen Glocke, den Düften aus Feldern und Fluren, dem Rauschen der Wälder, dem Murmeln der Bäche und Flüsse und dem Tosen des Meeres kehren sie gedanklich zurück in jene Zeiten, die vielleicht zu den glücklichsten ihres Lebens zählten.

Längst bestehen Kontakte mit Familien in ihren jetzigen polnischen Heimatorten, die sich sogar schon auf Kinder und deren Kinder erstrecken. Wunden von damals, von wem auch immer zugefügt, sind vernarbt, verheilt. Auf der “untersten” Ebene, den Beziehungen zwischen Menschen und Menschen, zwischen Familien und Familien, bahnen sich am ehesten die Freundschaften an, denen dann auch die übergreifende Politik folgen muss.

So ist die schlichte Tafel in der gemeinsamen Heimatkirche mehr als nur ein Erinnerungsmal an Verstorbene. Sie ist auch ein Symbol der nie untergegangenen christlichen Botschaft. Diese kommt oft nur mit kleinen Schritten. Sie wird den Weg einer friedlichen Gemeinschaft zwischen Polen und Deutschen fortsetzen.

 

Verfasser: Friedrich Grube, geboren und aufgewachsen in Wendisch-Silkow, Autor der heimatlichen Dokumentation “Flusslandschaft”.

Quellen: “Der Landkreis Stolp in Pommern” von Karl-Heinz   Pagel, “Heimatbuch der Kirchengemeinde Wendisch-Silkow”

 

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