Garder Sitten und Gebräuche

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Fortsetzung aus der Chronik von Karl Jost

 

Daß die Garder am Althergebrachten hangen, sieht man an ihrer Kleidung. Sie war von jeher sehr einfach. Die Frauen sah man in ihrer Häuslichkeit gewöhnlich in einem mit bunter Kante versehenen Unterrock, der durch eine lange Schürze geschont wurde. Bei der Arbeit trugen sie die Kleider durch ein Band hochgezogen, “upschert”, wie sie sagen. Der Sonntagsstaat für die Kirche bestand meistens in einem dunklen Rock mit loser Jacke, über die im Winter eine lange warme Jacke (“Dubeljacke”) gezogen wurde. Die Mädchen schmückte ein weißes und die Frauen ein schwarzes selbstgehäkeltes Kopftuch. Als Fußbekleidung gehörten dazu gewichste Lederpantoffeln. Viele Frauen gehen heute noch in dieser Tracht. Hut und Schuhe waren unbekannt. Immer war der Kopf - im Winter mit einem warmen, im Sommer mit einem recht bunten, baumwollenen Kopftuch - geschützt. Im bloßen Kopf sah man die Frauen nie, aber oft den ganzen Vormittag in der weißen Nachtmütze.

In älterer Zeit trugen die Frauen als sonntäglichen Kirchenschmuck hübsche Hauben mit langen breiten Bändern, die unterm Kinn zu langen Schleifen zusammengebunden wurden. Diese Hauben wurden zum letzten Mal von 18 älteren Frauen bei der Durchfahrt Wilhelms II. durch das Dorf öffentlich getragen.

Heute sucht man nach solchen Trachtenstücken vergebens. Die letzten haben im Heimatmuseum zu Stolp ihren Platz gefunden. Zur Haube mußte eine entsprechende Schürze getragen werden. Obgleich die Kleidung nur einfach aussah, waren doch sämtliche Stücke aus gediegensten Stoffen angefertigt. Die Männer trugen marineblaue Kleidung und Schnürstiefel, zum Abendmahl lange Schoßröcke - “Schwager” - und hohe Zylinder, oft schon vom Vater geerbt. Zum Fischen gehörten und gehören heute noch lange Fischerstiefel und Kniehosen, sogenannte Loschbüchsen aus grauer Leinwand. Bei grimmiger Kälte sah man alte Fischer zuweilen in gewaltigen Pelzmützen und ungegerbten Schaftspelzen, an denen lustig im Winde die Schwänze baumelten. Kinder erhielten früher zur Einsegnung oft das erste Schuhzeug. Manchmal mußte solches auch geborgt werden. Manche Frauen haben wohl nur einmal im Leben - zur Trauung - Schuhe gekauft. Heute gehen die Garder Kinder wie überall in Schuhen und Stiefeln zur Schule.

Karoline Pollex erzählt über die Kleidung in früherer Zeit folgendes: “An Kleder dreich wi fast bloßich eigenjewewitsch. Dei Keerlshose were veierschäftich, dei piekte denn so. Doar word oaber denn chaut deck Underfotter noame, dat dei Präkels nech derkeime. Hit to Doach dreche joa all dei kleine Kinder ne Stoaut, as donn emoal nech dei hoche Herrschafte hedde. Schauh dreiche wi arme Lied selle eis. Nor Kerch jing wi enne Holtkarke. Dei meik sek jeder allein, ewenso as dei helterne Lepels tom Eten. Wer chanz fein senne wull, dei trock sek nor Kerch Stettiner Karke an. Dei were rod anstreke. Doarop were denn dei Mäkes richtich stalz. Dei Buttenderpsche jinge bet nor Choard barft o troche sek denn erscht Stremp o Holtkarke an. Dei Ensechnungs- o Truhkleder worde emmer utliehdt o emtrechtich drouge.”

Wie teilweise der früheren Kleidung, so haben die Garder auch den alten Festgebräuchen die Treue bewahrt. In der Adventszeit gehen die kleinen weißen Weihnachtsmänner zur Freude der Jugend mit Klingel und Rute durch die Straßen. Heilig Abend erscheinen dann die großen mit ihren Weihnachtsgaben. Kinder, die beten können, bekommen Leckereien und kleine nützliche Sachen. Für die anderen ist die Rute bestimmt. Die Weihnachtsmänner machen sich auch gern über die großen Mädchen her, wenn sie solche auf der Straße ertappen. Oft erscheinen mehrere zugleich. Weihnachtsbäume sieht man in jedem Hause an der Decke der Wohnstube hängen, früher Kiefern, heute Fichten oder Tannen. Die kleinen Kinder dürfen vom Vorhandensein und Schmücken nichts wissen. Ihn und die Gaben darunter hat der Weihnachtsmann gebracht. In vielen Häusern bleibt der Baum in voller Pracht bis zur Fastenzeit hängen. Dann wird er zur Freude der Kleinen geschüttelt.

          Kassubisches Weihnachtslied
           
        Wärst du Kindchen im Kassubenlande,
        wärst du Kindchen doch bei uns geboren.
        Sieh, du hättest nicht auf Heu und Stroh gelegen,
        wärst auf Daunen weich gebettet worden.
         
        Nimmer wärst du in den Stall gekommen,
        dicht am Ofen stände weich dein Bettchen.
        Der Herr Pfarrer käme selbst gelaufen,
        dich und deine Mutter zu verehren.
         
        Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!
        Müßtest eine Schaffellmütze tragen,
        blauen Mantel von kassubnen Tuche,
        pelzgefüttert und mit Bänderstreifen.
         
        Hätten dir den eignen Gurt gegeben,
        rote Schuhchen für die kleinen Füße,
        fest und blank mit Nägelchen beschlagen.
        Kindchen, wie wir dich gekleidet hätten!
         
        Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten!
        Früh am Morgen weißes Brot mit Honig,
        frische Butter, wunderweiches Schmorfleisch,
        mittags Gerstengrütze, gelbe Tunke.
         
        Gänsefleisch und Kuttelfleck mit Ingwer,
        fette Wurst und goldnen Eierkuchen,
        Krug um Krug, das starke Bier aus Putzig.
        Kindchen, wie wir dich gefüttert hätten.
         
        Und wie wir das Herz dir schenken wollen!
        Sieh, wir alle wären fromm geworden,
        alle Kniee würden sich dir beugen,
        alle Füße Himmelswege gehen.
         
        Niemals würde eine Scheune brennen,
        sonntags nie ein trunkner Schädel bluten.
        Wärst du Kindchen im Kassubenlande,
        wärst du Kindchen doch bei uns geboren!
 

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Silvesterabend ziehen Bär und Storch von Haus zu Haus. Mit kleiner Gabe gehen sie vergnügt von dannen. Um Mitternacht, nach dem Turmblasen, wird das neue Jahr feierlich eingeläutet. Auf der Straße tobt ein mächtiger Lärm. Es wird auch geschossen. Junge Leute versammeln sich bei bekannten Familien und vertreiben sich die Zeit mit allerlei Scherzen.

Um die Fastnacht gibt’s in neuester Zeit Maskenball. Früher wurden solche weltlichen Vergnügungen von der Kanzel herab als sündliches Treiben stark bekämpft; daraus erklärt sich auch wohl, daß Garde trotz seiner hohen Einwohnerzahl außer Kirche und Schule noch bei Beginn des jetzigen Jahrhunderts keinen größeren Festraum besaß.

Karfreitag gibt es in manchen Familien fleischlose Gerichte, um nicht von den Mücken gestochen zu werden. Am Ostermorgen wird Osterwasser geholt. Gern versuchen übermütige Burschen, die Mädchen daran zu hindern. In der Osternacht werden die tollsten Streiche verübt: Die Türen werden verrammelt, die Fenster verhüllt, die nötigsten Gegenstände versteckt, die Ackerwagen in die Nachbardörfer gefahren. Einmal wurde ein Wagen auseinandergenommen und der Vorderwagen so aufs Dach gebracht, daß die Deichsel tief im Schornstein steckte. In aller Frühe gehen die Kinder mit geschmückten Osterruten zu befreundeten Familien, besonders Paten, zum “Stieppen”, mit kleinen Geldstücken und Ostereiern kehren sie vergnügt heim. Pfingsten werden die Häuser mit grünen Maien (“Maistrauch” = Birken) und die Fenster mit duftendem Kalmus geschmückt.

Alte Bräuche haben sich auch bei Familienfesten erhalten. Bei Kindstaufen geht es sehr einfach zu. Meistens sind nur die Paten die einzigen Gäste in der Familie. Die Patenbriefe mit den Patentalern dürfen natürlich nicht fehlen. Am Einsegnungstage versammelten sich die Konfirmanden in der neuen Schule, um von hier in Begleitung des Geistlichen und des Kantors unter geistlichen Liedern, die der Posaunenchor spielte, feierlich zur Kirche zu schreiten, während zahlreiche Gemeindemitglieder an der zur Kirche ansteigenden Straße Spalier bildeten.

Besonders eigenartig muten die Hochzeitsbräuche an. Hochzeitsbitter war der mit Blumensträußen und bunten Bändern geschmückte “Ollermann”, der 8 Tage vor dem Fest durch einen sinnigen Spruch die Gäste einlud. Er galt während der ganzen Feier als “Persona grata”, und er sprach auch im Hochzeitshause bei der Festtafel das Tischgebet. Am Vorabend der Hochzeit, kurz vor Polterabendbeginn, und am Hochzeitstag riefen die beiden kleinen geschmückten Ollermänner zum Kaffe. Die Hochzeitsgeschenke - Wirtschaftsgegenstände, auch Geld - wurden am Polterabend vom Brautpaar entgegengenommen. Dabei kamen launige Hochzeitsgedichte durch junge Mädchen zum Vortrag. Fast nie fehlte das Fischermädchen mit ihrer Lische, aus der dann zum Ergötzen aller Gäste eine Katze zum Vorschein kam. Am Polterabend wurden als Hauptgang Kartoffeln und gekochte Fische und als Nachtisch Suppe von selbstgebrautem Bier und Butterbrot gereicht. Das für die Bewirtung notwendige Geschirr mußten die beiden Brautjungfern von den Gästen zusammenholen und auch wieder dahin zurückbringen. Den Reigen zur Kirche eröffnete am Tage der Trauung der geschmückte Ollermann, dem unmittelbar das Brautpaar folgte; die Braut in einfachem Schwarz und Myrtenkranz, der Bräutigam in langem Rock und Zylinder. Vor dem Kirchgang hatte sich die Hochzeitsgesellschaft an gebratenen Fischen und Süßbier gütlich getan. Gleich nach der Trauung wurde im Gasthaus eingekehrt. Hier mußten die vier Trauzeugen - von Braut und Bräutigam je zwei - alle einkehrenden Hochzeitsgäste mit Glühwein bewirten. Im Gasthause blieben alle, bis die Köchin das Festessen fertig hatte. Bei der Rückkehr ins Hochzeitshaus wurde Weißbrot unter die spalierbildene Bevölkerung geworfen, den besten Freunden solches auch in Tüten überbracht. Das Hauptgericht des hohen Tages, ein echtes Eintopfgericht, bestand aus gedörrtem Obst mit Klößen und Schweinefleisch; dicker Reis und Backpflaumen bildeten den Abschluß. Mit sichtlichem Appetit wurde dem Essen und den dabei gereichten Getränken, Bier und Schnaps, zugesprochen, so daß die in langen weißen Schürzen bedienenden jungen Mädchen und die beiden Bierzapfer vollauf zu tun hatten. Am Ende des Mahles erschien ein Bursche mit einer großen Holzkelle. Unter dem Vorwand, die Köchin habe sich beim Kochen die Schürze verbrannt, nahm er kleine Spenden für die scheinbar Verletzte entgegen. Heute geht es auch in Garde wie anderswo zu. Die Einladung erfolgt oft durch Karten. Zum Brautschmuck gehört seit der Jahrhundertwende auch der Schleier über dem weißen Hochzeitskleid. Die verschiedensten Braten und Nachspeisen aller Art kommen auf den Hochzeitstisch. Auf den meisten Hochzeiten wird getanzt. Das Honorar für die Musiker erbringen die Brauttänze.

Sehr ernst und feierlich verlaufen die Begräbnisse. Bei jedem Sterbefall erklingen die Glocken in drei Pulsen. Sarg, Sargausstattung und Sterbehemd werden im Dorf hergestellt. Einer aus der nächsten Verwandtschaft des Verstorbenen besorgt die Einladung zur Nachfolge. Eingeladen werden Verwandte bis in die fernsten Grade und Bekannte und Freunde. Dabei geht der Leichenbitter von Sterbehaus aus links den Ort herum. Neuerdings bleibt sein Spruch fort. Dem Sinne nach hieß er früher: “N. und N. lassen grüßen und bitten, die Leiche ... dahin zu bringen, wo unsere Vorfahren schon ruhen und wo wir einst auch alle hinkommen werden.” Ein Mitglied des Schulvorstandes pflegte bei Einladungen zu Kinderbegräbnissen nur kurz zu sagen: “Schoalle tau ne Grefnis koaume, willet Elend beroupe.” Zu Kulengräbern werden nahe Verwandte genommen, desgleichen zu Leichenträgern und zwar letztere bei älteren und verheiratet gewesenen Verstorbenen nur verheiratete Männer und bei unverheirateten nur Jünglinge. Während die Leichen früher auf Bahren zum Friedhof getragen wurden, steht zu solchen Zwecken seit 1934 ein schöner Leichenwagen mit Gummirädern zur Verfügung. Nach einer kirchlichen Feier im Sterbehaus tritt der Verstorbene unter Sterbegesang und Glockengeläut seine letzte Reise zum Friedhof an. Für Träger, Totengräber und Leidtragende ist inzwischen der Kaffeetisch im Trauerhaus gedeckt worden. Nach dem Kaffeetrinken werden mehrere Sterbelieder gesungen. Selten gibt’s noch Abendbrot. In früheren Zeiten soll jedem Manne beim Eintritt ins Sterbehaus vor der Feier ein Schnaps verabreicht worden sein. Nach jedem Sterbefall wird in der Kirche öffentlich gedankt, und die Gemeinde singt zum Gedächtnis an den Verstorbenen einige Strophen aus einem Sterbelied.

In einigen Familien hat sich noch allerhand Aberglauben erhalten. Derjenige, der nach dem Leichenschmaus oder Kaffeetrinken das Sterbehaus zuerst verläßt, soll aus der Verwandtschaft zuerst sterben müssen. Findet eine Trauung statt, während sich auf dem Friedhof eine offene Gruft befindet, wird bald jemand von dem Brautpaar sterben müssen. Schaut sich auf dem Wege zur Kirche die Braut oder der Bräutigam um, so heißt es, die Braut sieht sich nach einem zweiten Manne oder der Bräutigam nach einer zweiten Frau um. Bei mehreren Hochzeiten an einem Tage will jede Braut zuerst getraut sein, weil der erste Segen der beste sein soll.

Ein Fuhrwerksbesitzer, der auch Kirchenältester war, machte jedesmal ehe er losfuhr, mit der Peitsche drei Kreuze vor seinem Gespann. Gewöhnlich ging er selbst bei Stadtreisen langschäftig. Von den beiden Strippen seiner Stiefel mußte eine immer aufrecht stehen, während die andere immer einwärts gebogen wurde. Das “Besprechen” soll heute noch heimlich bei Vieherkrankungen hin und wieder Anwendung finden. Die Sitte des Bindens hat sich ebenfalls erhalten. Sobald ein Fremder, bei dem Geld vermutet wird, sich bei der Winterfischerei sehen läßt, wird er vom Fischmeister mit einigen entsprechenden Worten gebunden. Die Lösung geschieht durch ein Geldgeschenk für Schnaps. Als Gegenstück erhält er dann gewöhnlich schöne Fische.

Als Original und Hellseher muß an dieser Stelle auch der kurz nach dem Kriege verstorbene Bibauken August (August Noffke) genannt werden. Vor dem großen Kriege mit allen seinen Begleiterscheinungen hat er seinen Kameraden im voraus erzählt. Doch Spott und Hohn erntete er, wenn er von der Knappheit der Lebensmittel, der teuren Zeit, den vielen Wagen ohne Pferde - den Autos - und den großen und kleinen Fliegern sprach. Als beschränkt angesehen, wurde er besonders von den jungen Burschen gehänselt und oft zum besten gehalten.

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